Am Beispiel der Wetterauer Zeitung.
Eines vorneweg: ich wurde in den letzten Jahren von einigen Redakteuren der Wetterauer Zeitung zu diversen Wetterthemen immer mal wieder angerufen, bspw. nach Unwettern im Wetteraukreis, zum Tornado in Butzbach oder gefragt, warum die Wetterstation in Bad Nauheim immer weit vorne bei den heißesten Orten dabei ist. Also lokale Themen, gemacht von Redakteuren aus der Gegend mit jemand, der ebenfalls aus der Region kommt.
Wunderbar, so sollte es sein… sollte…
Guter Lokaljournalismus war gestern, neuerdings zählt Quantität, nicht Qualität
Seit einiger Zeit verkommt insbesondere die Online-Ausgabe der Wetterauer Zeitung aber zu einer Content-Schleuder mit belanglosen Inhalten, die irgendwo fernab des Einzugsgebiets produziert werden und jegliche journalistische Sorgfalt vermissen lassen. Das ist nicht nur speziell bei der Wetterauer Zeitung der Fall, sondern bei vielen Zeitungen auch zu beobachten. Von daher ist vieles von dem was hier steht, auch auf sehr viele andere Zeitungen übertragbar.
Beispiele gefällig?
Liegt Schnee an Heiligabend? Gibt es weiße Weihnachten? Wir haben Ende Oktober! Acht Wochen vor Weihnachten weiß niemand, welches Wetter am Heiligabend sein wird, ob Schnee liegt, ob es Eisregen gibt oder ob es bei milden Temperaturen schüttet, bei eiskalten Temperaturen sternenklar ist oder es einen Lothar-Reloaded geben wird. Es weiß einfach niemand, es wird auch in 100 Jahren niemand so lange vorher wissen! Punkt! Trotzdem finden sich auf der Website der Wetterauer Zeitung insgesamt vier Artikel zur Frage, ob es denn weiße Weihnachten in diesem Jahr gäbe: was die Statistik sagt, was ein selbsternannter WetterExperte aus Wiesbaden sagt, dass Jörg Kachelmann diese Langfristvorhersagen für Blödsinn hält und dass auch das ProSieben/Sat1-Wetter.com eine Prognose für Weihnachten wagt.
Artikel wie solche bräuchte es also nicht geben, weil es reine Spekulation ist. Warum gibt es Leute, die trotzdem eine Prognose abgeben? Warum veröffentlicht die WZ solche Artikel und promoted sie auch noch über Facebook?
Es zählen nur noch Klicks, Kommentare, Shares, Likes …
Ganz einfach, weil es gut klickt. Die Wetteranbieter bekommen ihre Erwähnungen und werden bekannter (auch bisher unbekannte amerikanische Wetterdienste beteiligen sich mittlerweile an solchen Langfristprognosen, weil sie sich dadurch erhoffen, bekannter im deutschen Raum zu werden) und auch die Zeitungen bekommen viele Klicks. Derartige Artikel landen regelmäßig in den Toplisten, werden auf Facebook rege kommentiert und geteilt. Alleine bei den Shares können nur Postings mit Suchmeldungen oder Hilfeaufrufe mithalten. Es scheint also gut zu laufen.
Storys basteln via Twitter
Welche journalistische Qualität hinter den Wetterthemen steht, die mittlerweile in der WZ veröffentlicht werden, kann man sehr gut an diesem Beispiel sehen. Hintergrund: ich habe einen Tweet auf Twitter eingestellt mit einem Blitz, den ich selbst beobachten konnte, der etwa 15km entfernt vom Gewitterkern eingeschlagen ist. Jörg Kachelmann hat meinen Tweet kommentarlos geretweetet. Das war alles… der Münchner Merkur – das Niveau von merkur.de liegt etwa bei dem von BILD online – hat aus diesem Retweet einen kompletten Beitrag gestrickt. Der sieht dann so aus:
Einer schreibt, überall wird es übernommen
Warum landet nun ein Artikel des Münchner Merkurs auf der Website der Wetterauer Zeitung? Ganz einfach: derartiger Content wird mittlerweile munter auf vielen Seiten zweitverwertet. Vereinfacht gesagt: jeder tauscht mit jedem seine Beiträge, wenn es irgendwie reinpasst. Deshalb erscheinen auf der Online-Ausgabe der Wetterauer Zeitung mittlerweile Beiträge vom besagten Münchner Merkur, aber auch von der FR, OP online, HNA, Gießener Allgemeine und vielen mehr. Darüber hinaus kommt noch jede Menge Content aus Frankfurt von einer Zentralredaktion – DPA für Arme quasi.
Dass ich mir jetzt ein Allerweltsthema wie Wetter herausgepickt habe, liegt daran, dass ich damit beruflich zu tun habe und entsprechend beurteilen kann, wie viel Unsinn da tatsächlich geschrieben wird. Es steht zu vermuten, dass sich das aber auch auf viele andere Themenbereiche übertragen lässt. Es wird also vermutlich nicht nur beim Wetter so gearbeitet, sondern querbeet durch alle Themen.
Das alles hat nämlich den Sinn, möglichst viel Content zu haben um die Leute möglichst lange auf der Seite zu halten oder sie gar erst auf die Seite zu holen. Der Content dürfte zudem auch viel günstiger sein, als wenn man selbst die Redakteure exklusiv für sich arbeiten lässt.
So weit, so nachvollziehbar und der Erfolg scheint ihnen ja recht zu geben. Die Besucherzahlen der Website der Wetterauer Zeitung steigen stetig, wie ein Blick auf die von der IVW gemessenen Zahlen zeigt.
Aber: das, was die Wetterauer Zeitung und viele andere auch mittlerweile versuchen, es ist nicht neu. Vor ziemlich genau zehn Jahren, als Google die News-Suchergebnisse in die normalen Suchergebnisse integriert hat, gab es in der SEO-Szene den Trend, einfach billigen Nachrichten-Content zu produzieren, möglichst aktuellen und viel gesuchten Themen und entsprechend gut platziert zu bekommen. Darin waren einige auch sehr erfolgreich. Nur: das war nicht von langer Dauer.
Auch die typischen Clickbaiting-Postings, die man mittlerweile auf der Facebook-Seite der WZ gehäuft zu sehen bekommt, sind nichts, was nicht schon einmal da war. Vor einiger Zeit führte eine zunächst anonym geführte Seite vor, wie man das in Perfektion betreibt und für viele Millionen von Besuchern sorgt: heftig.co, nun heftig.de – auch ein solcher Erfolg ist in der Regel nur ein Strohfeuer, dafür sorgt Facebook schon, indem sie bei solchen Machenschaften irgendwann die Reichweite immer weiter einschränken.
Der kurzfristige Erfolg mag also da sein, er wird nur nicht lange bleiben. Dazu zwei Grafiken von der Entwicklung der o.g. Seiten in der Google-Suche, die für sich sprechen.
Wer langfristig weiter Besucher gewinnen und auch dauerhaft behalten will, der muss umdenken. Online-Werbeeinnahmen zu halten oder gar zu steigern, indem man einfach die Seite mit billigen Content aufbläht, wird nicht funktionieren.
Es ist letztlich nichts anderes, als das, was man mit den immer mehr werdenden Freiexemplaren, die von den Zeitungen und Zeitschriften produziert und verschenkt werden bezweckt: die Auflagenzahlen sollen hoch bleiben, damit man die Anzeigenpreise zumindest noch längere Zeit auf einem hohen Niveau halten kann.
Es zögert nur den Tod hinaus, verhindert ihn aber nicht.
Wie kann eine Lokalzeitung im digitalen Zeitalter überleben?
Die Frage ist also, was wären bessere Maßnahmen für die WZ, damit man möglichst überlebt und das 200-jährige Jubiläum im Jahre 2034 auch noch begehen kann?
Exemplarisch als Ansatz mal den Zustand der aktuellen Startseite
Dazu ein paar Ideen:
Meiner Meinung nach geht es nur, wenn man sich auf guten Lokaljournalismus konzentriert. Damit meine ich nicht Berichte von der ordentlichen Mitgliederversammlung des örtlichen Vogelzuchtvereins, sondern gut recherchierte, interessante Stories über das, was die Bevölkerung hier im Wetteraukreis bewegt. Keine überregionalen DPA-Sachen einkaufen oder von irgendwelchen anderen Zentralredaktionen beziehen, sondern selber machen. Dabei ist weniger mehr. Also lieber weniger Beiträge, dafür aber umso fundierter und auch nur, was regional relevant ist und interessiert. Kein Mensch besucht die Wetterauer Zeitung, um die neuesten Bundesliga-Eilmeldungen zu sehen oder sich über die neuesten Politik-Nachrichten aus Berlin zu informieren, usw. – dafür gibt es viele andere und bessere Quellen, stattdessen – um im Beispiel zu bleiben – eher auf Lokalpolitik und Lokalsport konzentrieren.
Für die Offline-Welt, also die gedruckte Ausgabe bedeutet das dann übrigens die Grundsatzfrage: muss man in der heutigen Zeit noch eine gedruckte Zeitung sein, die täglich erscheint? Oder wäre es nicht sinnvoll mal darüber nachzudenken, nur noch einmal die Woche eine Samstagsausgabe zu machen? Die dann aber richtig.
Auch online gilt: nur die Inhalte, die von lokaler Relevanz sind! Der übliche DPA-Kram raus, das Content-Getausche abschalten, die Zentralredaktionsinhalte raus, etc. – Darüber hinaus auch aktiver sein und zwar auf mehren sozialen Medien und weg von der Konzentration auf Facebook. Dort hält sich die Zielgruppe auf, die altersmäßig direkt nach denen kommt, die noch ein gedrucktes Zeitungsabo haben – und die wird nicht mehr. Soziale Medien heißt auch nicht nur One-Way-Kommunikation, sondern in erster Linie auch Dialog. Lasst die Redakteure ruhig mit den Lesern diskutieren und antwortet auch auf Fragen oder Kommentare, die ihr auf den jeweiligen Kanälen bekommt.
Dazu den Paywall-Bereich ausbauen, intensiver nutzen und gleichzeitig für eine vernünftige Preisstruktur sorgen, so dass sowohl Leute aus der Region, die die Seite regelmäßig besuchen ein preiswertes Abo nehmen können, dass aber auch Leute von überall, die nur an einem bestimmten Artikel interessiert sind, diesen auch einzeln beziehen können.
Unrealistische Preise, die man aufruft
Ersteres hat die Wetterauer Zeitung schon umgesetzt. Warum das aber nicht funktionieren wird, wird schnell deutlich, wenn man die Preise mal mit anderen überregionalen Zeitungen bzw. Online-Magazinen vergleicht.
Andere große bekannte überregionale Tageszeitungen liegen im ähnlichen Preissegment, teilweise etwas darüber im Bereich zwischen 30 und 40€ im Monat.
Die Frage, die sich mir dabei stellt: wer um alles in der Welt glaubt bei der Wetterauer Zeitung, dass man als kleine regionale Zeitung online im gleichen Preissegment wie die ganz großen Zeitungen mitspielen kann? Wegen dem DPA/Zentralredaktion-Kram? Den gibt es an vielen anderen Orten für umsonst. Der bezahlbare, einzigartige Part der WZ ist der Regionalteil und der ist in meinen Augen keine 27,90€ pro Monat wert.
Fazit
Unterm Strich lässt sich also festhalten: die Exemplare der gedruckten Wetterauer Zeitung sinken stetig (aktuell noch über 16.000), bei derzeitiger Preisstruktur der Online-Ausgabe dürfte man kaum für adäquaten Ausgleich sorgen und genügend Digitalabos verkaufen. Die Einnahmen durch Online-Werbung dürften, trotz des derzeitigen Aufwärtstrends bei den Besuchern (wie lange der anhält ist die Frage, siehe oben) zukünftig sinken, denn viele Nutzer verwenden Adblocker und diejenigen, die keinen verwenden, bekommen vermehrt den Schutz, zumindest für Trackingcookies, direkt durch den Browsers mitgeliefert (bspw. im neuesten Firefox). Das sorgt nicht gerade dafür, dass man pro Besucher mehr verdient, sondern tendenziell weniger.
Das alles wird also nicht dazu beitragen, dass man zukünftig gleich viel oder mehr einnimmt. Man wird dann wohl weiter schauen, dass man die Inhalte noch billiger produziert bekommt, also noch weniger Qualität liefert, was noch weniger der Abo-Preis rechtfertigt, usw. Irgendwann dreht sich das Rad immer schneller und dann ist Schluss.
Wenn man nicht gegensteuert, dann auch völlig zurecht. In der Billig-Schrott-Content-Variante braucht man sie auch nicht.
Just my 2 cents…